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5 May 2023 // Annika Westphal  //       //  Opinion

Interkulturelle Kompetenz: Buzzword-Bingo auf LinkedIn-Profilen

„Interkulturelle Kompetenz“ gehört ähnlich wie die Angaben „Excel-Kenntnisse“ oder „Teamfähigkeit“ zu den inflationär gebrauchten Schlagworten im Buzzword-Bingo rund um HR-Themen. Klingt gut und kann auf einem Spektrum von „erkennt die Excel-App auf seinem Desktop“ bis hin zu nachweisbarer Expertise alles bedeuten. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der interkulturellen Kompetenz. Möchte man den Lebensläufen auf LinkedIn Glauben schenken, ist fast jeder Arbeitnehmer heutzutage mit internationaler Handlungskompetenz gesegnet. Da verwundert es dann doch, dass in internationalen Arbeitsgruppen nicht immer alles rund läuft.

Interkulturelle Kompetenz ist mehr als Sprachkompetenz und Urlaub

Im Zuge der Globalisierung gewinnt interkulturelle Kompetenz in Business-Kontext und internationaler Kommunikation zunehmend an Bedeutung. Interkulturelle Handlungskompetenz beschreibt die Fähigkeit, mit Menschen aus anderen Sprach- und Kulturkreisen zielführend und auf Augenhöhe zu interagieren. Dabei gilt es Unterschiede zu respektieren und auszuhalten (Ambiguitätstoleranz), kulturelle Besonderheiten zu beachten, Rücksicht zu nehmen und erfolgreich zu kommunizieren. Hakt man in einem Bewerbungsgespräch nach, wie die interkulturelle Kompetenz erworben wurde, werden meist Sprachkenntnisse oder Auslandsaufenthalte angeführt. Jedoch ist eine Person nicht automatisch interkulturell kompetent, nur weil sie Japanisch spricht oder ein Jahr „Work and Travel“ in Australien im Lebenslauf vorzuweisen hat. Doch wie erwirbt man dann interkulturelle Kompetenz?

Ich lebte mehrerer Jahre in verschiedenen Ländern Asiens. Dabei traf ich immer wieder auf Menschen, die den eigenen kulturellen Hintergrund samt Werteverständnis als den einzig richtigen Blick auf die Dinge erachteten. Das Fremde beziehungsweise das Andere war falsch, komisch oder minderwertig. Auf Networking-Events, am Flughafen oder auch in exklusiven Rooftop-Bars in Asien trifft man nicht selten auf weitgereiste US-Amerikaner und Europäer in Führungspositionen aller Branchen, die sich ungeniert, geradezu neokolonial über Ungewohntes, Unbekanntes und Unverständliches im Gastland äußern. Sie beharren dabei auf der Überlegenheit ihrer Werte und Normen und lassen sehr oft sowohl eine Eigenreflektion bezogen auf Kulturstandards als auch die Auseinandersetzung mit den Standards der Fremdkultur vermissen.

Perspektivwechsel

Interkulturelle Kompetenz ist gewissermaßen eine Einstellungssache: Sie bedarf neben Charaktereigenschaften wie Neugierde und Offenheit auch der Einstellung, Neues und Unbekanntes zunächst wertfrei zu betrachten. Verdeutlicht wurde mir dies unter anderem in einer schwierigen Situation in China: Aufgrund einer schweren Sportverletzung lag ich mehrere Wochen in einem chinesischen Kleinstadtkrankenhaus. Ich wurde 24/7 von einer chinesischen Krankenschwester betreut, die nie über die Grenzen ihrer Provinz hinausgekommen war und keine Fremdsprachen beherrschte. Und doch war sie interkulturell kompetenter als viele Repräsentanten europäischer Unternehmen oder auch manch weitgereiste Influencerin, die ich im Laufe meiner Expat-Zeit kennenlernen durfte. Die Krankenschwester projizierte keines der teils in den chinesischen Medien propagierten, negativen Stereotypen über „die Ausländer“ auf mich und war unvoreingenommen und interessiert an einem Austausch auf Augenhöhe. Ich erlebte in ihr aufrichtige Vorurteilsfreiheit, Offenheit und die Fähigkeit, den Fokus auf Gemeinsamkeiten, statt auf Unterschiede zu legen. Mein Chinesisch war zu dem Zeitpunkt nicht gut genug, um mich in jeder Situation gegenüber dem Klinikpersonal verständlich machen zu können. Aber auch ohne Worte konnte sich die Krankenschwester in meine Lage versetzen und aus dieser Perspektive heraus für mich mit Dritten sprechen. Diese Fähigkeit zum Perspektivwechsel bei gleichzeitiger Anerkennung der Gleichwertigkeit des Gegenübers ist die Basis von interkultureller Kompetenz.

Ein Perspektivwechsel wirft uns in der Regel auf uns selbst zurück: Wir hinterfragen, warum wir bestimmte Dinge als Norm und Maßstab ansehen. Dabei wird deutlich, dass unsere Wahrnehmung nicht nur kulturell geprägt ist, sondern auch immer nur einen eingeschränkten Ausschnitt der Realität darstellt. Die Bereitschaft, die eigene kulturelle Prägung zu reflektieren, den Ausschnitt der eigenen Realität zu vergrößern und die Wertschätzung oder zumindest Akzeptanz des Anderen, ohne es in unkritische Verallgemeinerung und Exotismus abdriften zu lassen, sind wichtige Grundpfeiler für interkulturelle Kompetenz und erfolgreiche Zusammenarbeit in internationalen Teams.

Aber Vorsicht! Manchmal neigen wir dazu, ungewohntes oder ungewünschtes Verhalten vorschnell auf den jeweiligen kulturellen Hintergrund einer Person zu schieben. Gründe, die zum Beispiel in der psychischen Verfassung einer Person selbst, in einer spezifischen Herausforderung oder der Situation liegen, werden dann außer Acht gelassen. Ein Perspektivwechsel ermöglicht auch, die Vielschichtigkeit von Situationen zu erfassen und mehrere Erklärungsansätze in Betracht zu ziehen. Dem Schubladendenken und der Stereotypisierung anderer Kulturen wird so entgegengewirkt.

Interkulturelle Differenzen aushalten und überbrücken

Interkulturell kompetentes Verhalten bezieht sowohl verbale als auch nonverbale Kommunikation mit ein. Die Absicht, sich verstehen zu wollen, ist die Grundvoraussetzung für gelungene Kommunikation in der Arbeitswelt. Die meisten Menschen tendieren dazu, ihre eigenen, kulturell bedingten Verhaltensweisen als Maßstab zu sehen. Dies kann zu Missverständnissen, Konflikten, gescheiterten Verhandlungen und Handlungsunfähigkeit internationaler Teams führen. Verschiedene Kommunikationsgewohnheiten, Kommunikationsstile und kulturelle Konzepte zu kennen und zu respektieren, Fragen zu stellen und lösungsorientiert zu denken, kann interkulturelle Differenzen überbrücken. Wenn wir mehrdeutige und ungewohnte Situationen als Learnings und Missverständnisse in der Kommunikation als Chance sehen, handeln wir konstruktiv und interkulturell kompetent. Oft birgt der Fokus auf Gemeinsamkeiten und unsere Bereitschaft, sich auf Unterschiede einzulassen, das Potential, gemeinsam mit anderen facettenreiche Lösungsansätze, bedeutende Veränderungen und etwas wirklich Neues zu schaffen.

Wer jetzt neugierig geworden ist, kann hier noch mehr über Kommunikation in Zeiten der Digitalisierung und in dieser Podcast-Folge Spannendes zu interkultureller Kommunikation mit Blick auf China, Japan und Singapur erfahren.

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